The Banshees of Inisherin – Über das Jahr 2023

The Banshees of Inisherin – Über das Jahr 2023

(1) Der Film beginnt mit einer Kamerafahrt über die Höhen einer irischen Insel. Der aufsteigende Nebel gibt den Blick frei auf das Grün der Felder, auf das Blau von Meer und Himmel, auf das Weiß der Wolken. In der nächsten Einstellung sieht man einen der Protagonisten, wie er am Hafen der Insel entlang geht. Im Hintergrund verladen die Menschen Fässer und Kisten und über ihren Köpfen leuchtet ein Regenbogen. Für einen Moment hat man den Eindruck, Teil eines Gemäldes zu werden, das von einem englischen Landschaftsmaler geschaffen wurde.

Die Farben und das Licht spielen in dem Film eine wichtige Rolle. Das Licht bringt die Felder, die Häuser und die Menschen, die darin wohnen, zum Leuchten: die Gestalt einer Frau, die Wäsche aufhängt; einen Mann beim Schreiben in seiner Stube; den Kopf des Pfarrers im Beichtstuhl. Die Farben des Lichts setzen sich fort in den Handlungen und Bewegungen der Menschen. Sie machen sie dabei anziehend und liebenswert: als würden sie erst durch das Licht zum Leben erweckt.

In dem Film sieht man aber auch, wie das Licht immer wieder übergeht in Dunkelheit und Trübe. Das Blau des Meeres und des Himmels wird zu einer grauen Masse; die Wolken werden schwer wie Rauch, das von einem Feuer stammen könnte; das Grün der Felder verwandelt sich in braune oder schwarze Flächen. Die helle, farbige Welt der Insel kann von einem Moment auf den anderen in undurchdringliche, düstere Nacht umschlagen: als wäre auf einmal alle Lebendigkeit daraus verschwunden.

Im überraschenden und abrupten Wechsel der Farben und des Lichts wird das Thema des Films gesetzt. Auf der einen Seite illustrieren die Farben das reiche Spektrum menschlicher Lebens- und Verwandlungsmöglichkeiten, in dem auch der Alltag auf der Insel seinen Ursprung hat. Auf der anderen Seite zeigt der Film, wie die Menschen sich von etwas in Besitz nehmen lassen, was sie blind macht für den Reichtum und die Fülle des Lebens. Er zeigt, wie sich Verwandlungen in Eintönigkeit und Gleichgültigkeit verkehren und wie die Menschen dabei hart und unempfindlich werden können.

(2) Der Film erzählt die Geschichte zweier Männer, von denen der eine dem anderen die Freundschaft aufkündigt und sich fortan jede Annäherung, jedes Gespräch und jede Form des Kontaktes verbittet. Es ist die Geschichte einer Trennung, eine Beziehungsabbruchs, die den Plot des Films ausmacht. Er wird auserzählt wie eine Katastrophe, die langsam und unauffällig beginnt, aber unerbittlich voranschreitet wie der Gang des Schicksals in einer antiken Tragödie.

Was Anlass oder Ursache der Trennung ist, wird in dem Film nicht gezeigt. Vordergründig geht es um die musikalischen Ambitionen des älteren der beiden Männer, der seine Zeit künftig mit Kompositionen über den Mythos der Todesfeen („banshees“) verbringen will. Den Jüngeren, der statt dessen stundenlang über den Dung seiner Eselin sprechen will, bezeichnet er als langweilig. Er ist der Meinung, dass er ihn mit seinem Gerede daran hindere, ein Werk zu schaffen, das ihn genauso unsterblich machen könnte wie das Werk eines Mozart oder Beethoven.

Allerdings leidet der Ältere auch unter der eigenen Langeweile und nicht nur unter derjenigen, die ihn im Gespräch mit dem früheren Freund überkommt. Im Beichtstuhl fragt ihn der Pfarrer nach dem Auftreten seiner „Schwermut“, und der Mann muss gestehen, dass ihn diese Schwermut auch durch die Beschäftigung mit der Musik nicht einfach verlässt. Der Film zeigt, wie der Mann einsam durch die Felder streicht, lange auf das Meer hinausblickt oder schweigend in die Luft starrt: als wolle er sich lieber von der Weite und Leere der Landschaft überwältigen lassen, als sich mit den großen und kleinen Widerwärtigkeiten des Lebens abzugeben.

Der andere Mann scheint dagegen bereit zu sein, auf andere Menschen zuzugehen und mit ihnen ein Gespräch anzufangen. Wenn er ins Dorf geht, grüßt er freundlich und die anderen grüßen zurück. Er liebt seine Tiere und die Schwester, mit der er unter einem Dach wohnt und die ihm den Haushalt führt. Ziege, Kuh und Esel sind fast so etwas wie eine Ersatz für die Kinder, die es auf der Insel ebenso selten gibt wie Frauen, die man heiraten und mit denen man zusammenleben kann. Wie Kinder dürfen bei dem Jüngeren deshalb auch die Tiere ins Haus, Essen vom Tisch nehmen oder ihren Dung auf dem Boden zurücklassen.

Das Nett-Sein ist für den Jüngeren kein Problem. Er fängt erst an, darüber nachzugrübeln, als der Ältere ihm daraus einen Vorwurf macht. Als er ihm sagt, dass er zwar nett sei, aber sonst nicht viel zu bieten habe, entdeckt der Jüngere, dass die anderen hinter seinem Rücken Witze machen und er in der Rangreihe der Dorfbewohner ganz unten steht. Das Verdikt gegen das Nett-Sein erschüttert sein Selbstverständnis und den Optimismus, mit dem er sich der Wirklichkeit zuwendet. Ich mag dich einfach nicht mehr, sagt der andere und danach bricht für den Jungen eine Welt zusammen. Er gerät in einen Strudel aus Misstrauen und Unsicherheit, der dem unbekümmerten Leben, das er bisher geführt hatte, unvermittelt ein Ende setzt.

(3) Die beiden Männer sind so etwas wie seelische Zwillinge. Sie vertreten zwei Seiten der Wirklichkeit, die sich voneinander unterscheiden, die gleichzeitig aber auch nicht ohne einander auskommen. Die Offenheit des Jüngeren ergänzt sich mit der Verschlossenheit des Älteren, sein scheinbar schlichtes Gemüt ist das Gegenstück zu den künstlerischen Ambitionen des anderen und der Liebe zu Tieren und Menschen entspricht bei seinem Freund die Vorliebe für einsame Wanderungen und Aufenthalte in der Natur.

Beide Seiten könnten ein Ganzes ergeben und offenbar hat es eine solche Gemeinsamkeit in der Vergangenheit auch tatsächlich gegeben. Mit der Trennung der beiden soll dagegen eine Gestalt verwirklicht werden, die sich absolut setzt und deshalb auch keine Vermittlungen oder Kompromisse zulassen will. Der Ältere will eine Kunst schaffen, die nicht mehr vom Mist und Dreck der Welt berührt wird. Er will tolle Auftritte im Pub haben und dafür ruft er sogar Musikstudenten vom Festland herbei. Sein Freund soll mit alledem jedoch nichts mehr zu tun haben. Er muss an der Seite sitzen und darf sich nicht mehr rühren.

Als der Jüngere sich mit diesem Arrangement nicht abfinden will, spricht der Ältere eine ungeheuerliche Drohung aus. Jedes Mal, wenn sich der andere ihm künftig nähert oder mit ihm spricht, will er sich einen Finger seiner linken Hand abschneiden und damit zugleich die Spielhand für seine Geige verstümmeln. Da er diese Drohung auch tatsächlich wahrmacht, steht er am Ende ohne Finger da. Von der linken Hand bleibt nur ein blutiger Stumpf, mit dem er hilflos und wütend den Takt zu den irischen Volksweisen schlägt, die ihm die Studenten vom Festland vorspielen.

Das Abtrennen der Finger bildet den Höhepunkt und die Zuspitzung in der Geschichte der beiden Männer. Der Film interessiert sich nicht dafür, wie es dazu kommen konnte oder welche Motive den Älteren bewegen. Er zeigt nur die Situation, die den endgültigen Abbruch der Beziehung besiegelt. Er führt den Zuschauern vor, dass die Trennung zweier Menschen so grausam und unerbittlich sein kann wie ein Schnitt, der durch einen lebendigen Organismus geht. Ein Teil dieses Organismus wird abgeschnitten und an seiner Stelle bleibt nur noch ein bewegungs- und gefühlloser Stumpf zurück.

Ob das Abtrennen des Fingers nicht furchtbar weh getan habe, fragt die Schwester den Mann, als sie zu ihm geht, um nach ihm zu sehen. Zuerst habe er geglaubt, er würde ohnmächtig, erwidert der Mann. Inzwischen habe er sich aber daran gewöhnt und spüre nichts mehr. Der Mann hat sich einen Finger abgeschnitten, aber er ist dabei auch stumpf geworden gegenüber der gemeinsamen Geschichte mit dem Freund und gegenüber dem eigenen Schmerz, der mit einer solchen Trennung verbunden ist.

(4) Neben der Geschichte der beiden Freunde gibt der Film auch Einblicke in das Leben der übrigen Inselbewohner. Die Schilderung ihres Alltags ist die dritte Ebene, auf der die Übergänge zwischen der Farbigkeit des Lebens und der Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit der Menschen gezeigt wird. Noch deutlicher als in der Geschichte der beiden Männer rücken dabei jedoch die unbewussten Zwänge in den Blick, die alles zu ersticken drohen, was sich an menschlichen oder liebevollen Regungen zu entwickeln beginnt.

Die Zwänge werden am Beispiel scheinbar banaler Alltagstätigkeiten geschildert, die zugleich von Gewalt und Rücksichtslosigkeit überformt werden. Der Kramladen, der auch eine Poststelle ist, wird von einer Frau geführt, die anscheinend sämtliche Briefe öffnet, bevor sie diese weitergibt. In ihrer Sucht nach Abwechslung und Neuigkeiten posaunt sie alles hinaus, was ihr von Dritten zugetragen wird. Wenn ein Kunde nichts Interessantes zu berichten weiß, beschwert sie sich: als dürfe es nirgendwo eine Stelle geben, an der sich das Neue erst einmal einnisten und seine eigene Gestalt annehmen kann. Wo sich Entwicklung zu regen beginnt, wird sie sofort ans Licht gezerrt und daraus eine öffentliche Vorstellung gemacht, die für alle nur peinlich ist.

Auch die Gäste des Pubs, die nur wörtlich nachplappern, was ihnen der Wirt vorsagt, folgen dem Zwang zum Einebnen und Gleichmachen von Entwicklung. Zwischen der Meinung des Wirts und den Ansichten der Gäste soll es ebenso wenig Abweichungen geben wie zwischen dem Vortrag der Musiker und dem Beifall der Zuhörer. Die Kneipe ist ein Ort, an dem feststehende Wahrheiten verkündet und mögliche Zweifel daran sofort unterdrückt oder erstickt werden. Die Kneipe verbindet die Menschen, aber diese Verbindung geschieht durch Dogmatik und die Abwehr von Ungleichheiten. Die Gäste werden zu einer unpersönlichen und gesichtslosen Masse von Gleichgesinnten zusammengebunden.

Etwas Ähnliches geschieht in der Kirche, in der die Bewohner der Insel jeden Sonntag zusammentreffen. Die Kirchgänger beten die Worte nach, die ihnen der Pfarrer vorbetet und bei der anschließenden Beichte müssen sie Rechenschaft darüber ablegen, an welchen Stellen sie von den vorgezeichneten Wegen abgewichen sind. Einer der beiden Freunde, der mit dem Pfarrer über seine „Schwermut“ sprechen will, hat den Verdacht, dass die Fragen des Pfarrers eigentlich von dessen eigenen Verfehlungen geleitet werden. Als er seinen Verdacht äußert, jagt ihn der Pfarrer unter Drohungen und Verwünschungen aus dem Beichtstuhl. Der Zwang zur Gleichheit duldet keine Umkehrung von einmal eingerichteten Wahrheiten. Er lässt nicht zu, dass Fragen nach der Herkunft bestimmter Ansichten gestellt werden oder Autoritäten als Personen mit menschlichen Schwächen und Fehlern erkannt werden. Sobald sich Widersprüche zu regen beginnen, werden die alten Verhältnisse mit Gewalt wiederhergestellt.

Dass der Kampf gegen Abweichungen und Widersprüche auch mörderische Konsequenzen annehmen kann, das zeigt der Film am Verhalten des Polizisten. Dieser reist gelegentlich auf das Festland, um bei Exekutionen von Aufständischen auszuhelfen. Darüber hinaus zwingt er aber auch den eigenen Sohn, ihm bei der Befriedigung sexueller Gelüste zu Diensten zu stehen. Schuld und Gewissensbisse betäubt er mit Alkohol und dadurch, dass er den Sohn im Rausch grün und blau schlägt. Der Polizist ist ein Unhold, der sich staatstragend gibt, aber sein Amt dazu missbraucht, eigene Machtansprüche durchzusetzen: Er schlägt sofort, direkt und ohne Umwege zu. Dabei bleibt vor allem auch die Entwicklung der jungen Generation auf der Strecke. Für den Sohn des Polizisten bleibt am Ende nur der Ausweg in den Selbstmord.

(5) Der Film handelt nicht einfach vom traurigen Ende einer Männerfreundschaft und er ist auch nicht bloß ein Bericht über den skurrilen Alltag irischer Inselbewohner. Er ist vielmehr ein Film über die Lebensbilder der Menschen und die ungeheuren Wünsche, die diese Lebensbilder bestimmen. Die Menschen wollen über die Eintönigkeit, die Begrenztheit und die Langeweile hinaus, in denen sie stecken und die sie daran hindern, etwas Großes zu schaffen. Statt dessen wollen sie unsterblich werden wie Musiker und Künstler, sie wollen beeindruckende Auftritte haben wie gefeierte Popstars und sie wollen ergriffen werden von den wechselnden Bildern der Landschaft, des Himmels und des Meeres. Die Menschen greifen nach allem, was ihnen die Verwandlung zu Höherem und Größerem in Aussicht stellt und was sie über den irdischen Dreck und den Mist der Tiere zu erheben verspricht.

Der Film zeigt aber auch, wie sich die Gier nach grenzenloser Verwandlung in ein lebensfeindliches Gleichmachen verkehren kann, wenn dabei auf den Austausch mit anderen seelischen Lebensformen verzichtet wird. Die Menschen, deren Leben der Film beschreibt, wollen dauernd Veränderungen herstellen, aber sie wollen sich dabei nicht selbst verändern. Statt dessen soll alles im Sinne der eigenen Ansichten und Weltbilder organisiert werden. Sobald sich ihnen etwas entgegenstellt, was nicht zu den eigenen fixen Ideen passt, wird es abgewertet, zur Dummheit erklärt, auf die Seite gestellt. Unter dem Zwang, eine bestimmte Version der Wirklichkeit zu verteidigen, werden immer mehr Teile dieser Wirklichkeit abgetrennt oder abgeschlagen.

Der Film handelt von den Konsequenzen seelischer Besessenheit und er malt diese Konsequenzen bis zum bitteren Ende aus. Er zeigt, dass die Menschen sich nicht einfach von ihren Zwängen befreien können, wenn sie sich einmal auf das Versprechen eingelassen haben, alles werden, alles besitzen und alles bestimmen zu können. Ohne dass sie etwas dagegen unternehmen können, geraten sie in etwas hinein, was ihre Lebenskreise immer weiter einschränkt. Sie verrennen sich in maßlose Wünsche und beginnen aufeinander einzuschlagen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen diese Wünsche genommen werden sollen: ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben und das Leben anderer Menschen; ohne Rücksicht auf Gemeinsamkeiten, die sie mit diesen Menschen einmal geteilt haben; ohne Rücksicht auf das Leben künftiger Generationen, die vielleicht eine neue und andere Ordnung der Wirklichkeit erschaffen könnten.

An einigen Stellen des Films wird die Landschaft der Insel wie in der Eingangsszene aus der Totalen gezeigt. In der Zwischenzeit hat sich das Bild der Insel jedoch gewandelt. Die Kamera zeigt jetzt nicht mehr eine Landschaft, die an ein irdisches Paradies erinnert, sondern das zellenförmige Muster der Felder und der steinernen Begrenzungen, die zwischen den einzelnen Parzellen angelegt sind. Die Insel ist zu einem Gefängnis geworden, in dem sich die Menschen eingemauert und voneinander isoliert haben. Sie haben sich in die Zellen ihre eigenen Besessenheit eingemauert und sind selbst so starr und hart, so kalt und grob geworden wie die Steine, mit denen sie ihre Felder einfassen.

(6) Die Handlung des Films spielt im Jahr 1923, in dem der irische Bürgerkrieg nach langem Blutvergießen zu Ende geht. Die Zuschauer, die den Film heute sehen, spüren jedoch, dass der Film nicht nur von einer Zeit handelt, die genau hundert Jahre zurückliegt. Sie ahnen vielmehr, dass darin auch etwas über ihre eigenen Lebensverhältnisse im Jahr 2023 gezeigt wird. Sie kennen die seelischen Erschütterungen, die sich aus der Trennung von Freundschaften oder Partnerschaften ergeben. Sie kennen die Wege und Irrwege, auf denen sich die Menschen voneinander entfremden oder sogar zu Todfeinden werden können. Und sie kennen auch den Schrecken, der uns erfasst, wenn sich ein Mensch in seiner Gier nach unbegrenzter Verwandlung durch keine fremde Wirklichkeit mehr beeindrucken lässt.

Die Wirkung des Films beruht aber nicht nur auf der persönlichen Erfahrung von Trennung oder Scheidung. Der Film ist vielmehr auch ein Gleichnis für den Zustand unserer Gegenwartskultur: mit ihren ungeheuren Wünschen, ihren Absolutheitsansprüchen und dem Wahn, alles besitzen, erschaffen und erobern zu können. Inisherin, das ist auch die Kultur des Westens, die sich in die eigenen Besessenheiten verrannt hat und die darüber stumpf und gefühllos gegenüber anderen Gesellschaften geworden ist, mit denen sie bis vor Kurzem noch Handel getrieben und Geschäfte gemacht hat. Die Insel, das ist auch das Bild einer Gesellschaft, die entschlossen ist, die Wirklichkeit nur noch in ganz kleinen Kreisen zu behandeln und die sich lieber selbst die Finger abschneidet, bevor sie etwas Neues riskiert.

Wenigstens ansatzweise scheinen die Juroren, die für die Verleihung des amerikanischen Filmpreises zuständig waren, etwas von der zeitgenössischen Relevanz des Films gespürt zu haben. Immerhin haben sie den Film für nicht weniger als neun Oscars vorgeschlagen – von denen er am Ende allerdings keinen einzigen erhalten hat. Ausgezeichnet wurde statt dessen ein computeranimierter Film über das Leben im Paralleluniversum: ein Abgesang auf das Modell der Multioptionsgesellschaft, in dem noch einmal alle Register der Technik und der virtuellen Filmkunst gezogen werden, in dem letztlich aber nur panisch demonstriert wird, dass die westliche Kultur mit dem Versprechen unendlicher Verwandlungsmöglichkeiten noch nicht am Ende ist: „Everything, Everywhere, All at Once.“

Dagegen hat ein deutscher Filmemacher mit der Neuauflage eines alten Kriegsfilms zum ersten Mal mehrere Auszeichnungen abräumen können. Auch hier ist der Filmtitel eigentlich schon Programm: „Im Westen nichts Neues.“ Das klingt so, als würde die Filmakademie müde abwinken und von sich behaupten, sie hätte schon alles gesehen und müsste sich nicht mehr auf die Suche nach Neuem begeben. Die westliche Kultur ist abgestumpft und empfindungslos geworden wie die Bewohner der irischen Insel. Anstatt Fremdes und Unbekanntes zu riskieren, folgt sie lieber dem Sirenengesang der Banshees. Das sind im Mythos die Todesfeen, die den nahenden Tod der Krieger ankündigen, indem sie ihre blutigen Kleider und Rüstungen waschen.

 

McDonagh, Martin (2022). The Banshees of Inisherin. Spielfilm. Irland, USA, United Kingdom.

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