Schöpfungsakt

Schöpfungsakt: Über den digitalen Impfausweis

(1) In der kalten Jahreszeit, wenn es morgens erst spät hell und am Nachmittag früh dunkel wird, jetzt, im Winter, kann man es besonders gut sehen: das Licht, das von den Oberflächen der Handys auf die Gesichter der Menschen fällt, wenn sie vor den Eingängen von Cafés, Restaurants, Kinos oder Museen stehen und darauf warten, dass sie eingelassen werden – von den Mitarbeitern des jeweiligen Etablissements oder von speziellen Servicekräften, die sich da postiert haben im Eingangsreich, wo sie die Wartenden empfangen und erst eintreten lassen, nachdem sie ihr Handy mit dem digitalen Code vorgezeigt haben, der sie zum Zutritt berechtigt.

Dieses kleine Licht, dieses kurze Aufleuchten der App, die den Code generiert, dieses Schimmern in Blau und Weiß, es ist, wie gesagt, in der Dunkelheit deutlich zu sehen und erinnert ein wenig an das Licht, das von einem Scanner oder Drucker erzeugt wird oder an das helle Blau der Lampe, die beim Zahnarzt über dem Behandlungsstuhl hängt. Es wirkt jedenfalls sehr technisch und unterscheidet sich deutlich von den gelb bis gold-gelb glänzenden, immer noch irgendwie weihnachtlich angehauchten Farben, die das Innere der Räume beleuchten und in ein angenehmes, warmes Licht tauchen und damit sozusagen die Eingangs- und Aufnahmebereitschaft der Räumlichkeiten signalisieren, ihre Ruhe und Güte, die sie der Hektik und Kälte im Außenbereich entgegensetzen.

Dagegen dieses andere Licht, das irgendwie flimmert und irrlichtert zwischen innen und außen, zwischen kalt und warm, Tag und Nacht, zwischen Dezember und Januar. Ein Licht, das für einen kurzen Moment auch auf die Gesichter derjenigen Menschen fällt, die sich gerade ausweisen müssen und das dabei ihre Physiognomie aufleuchten lässt, soweit sie unter der Maske erkennbar ist. Die Gesichtszüge der Männer und Frauen, das kurze Stirnrunzeln, wenn sie die App öffnen, das Innehalten, wenn sie die Prüfung über sich ergehen lassen: in diesem Moment nehmen die Gesichter einen anderen Ausdruck an.

Und zwar nicht nur deshalb, weil sie für einen Augenblick erkennbar sind im Dunkel der Nacht, weil man sie auf einmal genau sehen kann in all ihrer Jugend, Schönheit, Lebendigkeit, weil sich mit dem Anblick eines menschlichen Gesichts auf einmal auch eine Perspektive öffnet – überraschend, anziehend, scharf herausgeschnitten aus der Umgebung und der übrigen Gestalt des Menschen; sondern auch deshalb, weil in diesem Moment die Zeit stillzustehen scheint: als wäre das ein Moment der Andacht, wie er auf den Heiligenbildern, den Madonnen- und Krippendarstellungen zu sehen ist.

(2) Merkwürdig, dass diejenigen die den Ausweis kontrollieren, ihr Gegenüber während der Prozedur nicht ansehen. Auch diejenigen, die sich der Kontrolle stellen müssen, heben nicht den Blick. In dem Moment, in dem die Kontrolle stattfindet, senken beide den Kopf und blicken nach unten auf das Handy. Der für die Kontrolle wesentliche Vorgang spielt sich nicht in den Gesichtern und zwischen den Menschen ab, sondern auf der Oberfläche eines technischen Apparates.

Manchmal nimmt die Person, die die Kontrolle durchführt, ebenfalls ein Handy und überprüft mit Hilfe einer weiteren App, ob das andere Handy das richtige Signal abgibt. Dazu muss die Person, die Zutritt verlangt, die Hand ausstrecken und die Oberfläche des Handys nach oben drehen. Die Person, die sich in der Rolle des Kontrolleurs befindet, streckt ebenfalls die Hand aus, sie muss die Handy-Oberfläche aber nach unten drehen. Dann führen beide ihre Handys vorsichtig in die Nähe des jeweils anderen Gerätes, bis die App ein Signal sendet und damit zu erkennen gibt, dass der QR-Code der eintretenden Person erkannt wurde. Erst nachdem der Kontrolleur das Ergebnis abgelesen hat, kann der Eintretende passieren.

Die beiden Personen, zwischen denen der Prüfvorgang stattfindet, tun so, als wären sie während der Kontrolle völlig unbeteiligt. Manchmal lässt der eine oder andere kurz vor der Prüfung noch eine Bemerkung fallen, aber während des Vorgangs selbst, schweigen beide und lassen den Vorgang geschehen, ohne etwas zu sagen. Es ist so, als sollte die Prüfung nicht durch Worte oder Unterhaltungen gestört werden. Die beiden Personen nehmen nicht Kontakt miteinander auf, sondern widmen sich einzig und allein den Apparaten, die sozusagen stellvertretend für die Menschen miteinander Kontakt aufnehmen. Die Menschen gehen auf Distanz und die Apparate treten an ihrer Stelle in Beziehung zueinander.

Streng genommen findet aber auch zwischen den Apparaten kein physischer Kontakt statt. Das Abtasten des digitalen Signals gelingt nur, wenn es berührungslos, über eine kurze Distanz hinweg erfolgt. Das Annähern der beiden Oberflächen erfordert ein wenig Geschick, weil der richtige Abstand für das Auslesen der Daten genau ermittelt werden muss. Ist der Abstand zu groß oder zu klein, versagt der Lesemechanismus und der digitale Handschlag misslingt. Beide Seiten benötigen ein gewisses Fingerspitzengefühl, einen kurzen Moment der Konzentration, damit die Übertragung gelingen kann.

Es ist allerdings auch hier so, dass sie sie selbst nicht wissen können, wann der Vorgang abgeschlossen ist. Der Apparat gibt das Signal vor und wenn er eine erfolgreiche Datenübertragung bestätigt hat, zeigen die Menschen die entsprechenden Reaktionen. Der Apparat lenkt die Reaktionen der Menschen. Er zeigt die zeitliche und räumliche Lücke an, in der die Begegnung zwischen den Handys vollzogen wird.

(3) Zu der Szene gehören auch die Beobachter, die sich bereits im Innern der Räumlichkeiten aufhalten und dabei zusehen, wie die Eintretenden den Vorgang der Prüfung über sich ergehen lassen. Es ist erstaunlich, wie oft man hinsieht, wenn ein neuer Gast das Café oder Restaurant betritt. Die Kontrolle an der Eingangstür hat etwas Anziehendes und man wird fast gebannt von diesem Vorgang. Manchmal ist es sogar so, dass die Gespräche am Tisch ersterben, weil alle gemeinsam zur Eingangstür blicken und sich das Schauspiel ansehen, bei dem sie noch vor wenigen Minuten selbst die Hauptdarsteller waren.

Vielleicht liegt es daran, dass der Vorgang so bewegend ist, dass diese Bewegung noch länger nachwirkt und irgendwie abgearbeitet werden muss. Ganz spurlos ist die Prüfung jedenfalls nicht an einem vorübergegangen. Man hat diesen kurzen Moment der Unsicherheit erlebt, diesen Augenblick des Wartens auf die Reaktion der App, in dem nicht klar ist, wie das Ergebnis ausfallen wird. Unmöglich wäre eine Verweigerung der Bestätigung ja nicht: entweder weil das Zertifikat nicht erkannt wird, weil etwas mit der App nicht stimmt oder der Kontrolleur den Prüfvorgang falsch ins Werk setzt. Für einen kurzen Moment steht sozusagen die eigene Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit auf dem Spiel. Man weiß nicht, ob der Ausweis anerkannt wird und man selbst die Prüfung bestehen wird.

Möglicherweise betritt man die Einrichtung auch in Begleitung von Freunden oder Verwandten, in deren Kreis man eine bestimmte Rolle spielt oder spielen muss. Der Vorgang der Prüfung trifft aber alle gleich und er stellt damit auch das Rollengefüge der Gruppe in Frage. Der Vater muss sich vor den Augen von Frau und Kindern seine Unbedenklichkeit bestätigen lassen und geht damit tendenziell auch das Risiko ein, abgewiesen oder ausgeschlossen zu werden. Letztlich kann niemand sicher sein, ob er dazugehört oder nicht. Es ist nicht die Gruppe, die entscheidet, sondern eine Technologie, die nicht einmal annähernd versteht, was Gruppen- oder Familiendynamik bedeutet.

Auf der anderen Seite verstehen aber auch die Menschen nicht, welche Vorgänge sich im Innern der App abspielen. Niemand weiß genau, welche Daten gesendet oder aufgezeichnet werden, welche Informationen gespeichert sind oder wofür der QR-Code steht. Schon der Code selbst ist ein einziges Rätsel, denn er verweist auf eine digitale Signatur, dessen Abbild er darstellt und das wir ohne digitale Endgeräte nicht entziffern können. In der analogen Welt ist ein QR-Code lediglich eine Ansammlung schwarzer Flecken, für die es keine sinn- oder bedeutungsvolle Entsprechung gibt.

Deshalb ist es für die meisten Menschen auch unvorstellbar, dass aus der Zusammenstellung solcher Flecken ein individuelles Geschehen oder eine persönliche Individualität ablesbar wäre, dass also die Vielfalt von Zahlungsvorgängen, von Versicherungs- oder Gesundheitsdaten immer wieder fehlerlos und zweifelsfrei durch einen individuellen Code abgebildet und einer bestimmten Person zugeordnet werden kann; dass also alles, was die Menschen unternehmen, wenn sie einkaufen, bezahlen, Versicherungen abschließen oder sich medizinisch behandeln lassen, tatsächlich mit digitalen Mitteln registriert und erfasst und unverwechselbar mit den Handlungen eines bestimmen Menschen zusammengebracht werden könnte.

Denn wäre dies tatsächlich im Bereich des technisch Möglichen, dann müsste sich der Mensch selbst vorkommen wie die dunklen Flecken in dem QR-Code: genauso gesichts- und profillos, gleichsam amöbenhaft und unbedeutend wie nur irgendein Signal aus der digitalen Welt, das unter Milliarden anderer digitaler Identitäten oder gar unter Billionen anderer digitaler Transaktionen letztlich verschwindet, verschwimmt, sich auflöst, zu einem bloßen Zeichen wird, das er selbst nicht mehr entziffern kann, sondern das erst mit Hilfe technischer Apparate zusammengesetzt, erkannt und mit der Identität verglichen werden kann, von der er bisher immer geglaubt hatte, er wäre selbst derjenige, der diese Identität hergestellt hat und die er deshalb auch für sich beanspruchen könnte.

(4) Und wenn dieser Mensch, dessen Identität da gerade vor den Augen seiner Freunde oder in Gegenwart seiner Familie gescannt und damit zumindest für einen Augenblick auf die Größe einer digitalen Amöbe geschrumpft wurde, wenn dieser Mensch also vielleicht wenig später endlich an seinem Platz sitzt und so tut, als wäre nichts geschehen, obwohl er gerade in aller Öffentlichkeit gewissermaßen ent-individualisiert und damit ent-menschlicht wurde; wenn dieser Mensch sich nun bemüht, eine einigermaßen konventionelle Unterhaltung zu beginnen und sich darüber wundert, warum ihm dies nicht gelingen mag; wenn er vielleicht feststellt, dass das Gespräch mit seinen Mitmenschen zu ersterben droht und sich dieser Mensch in dem Gefühl, man hätte ihn irgendwie vor den Kopf geschlagen, im Raum umblickt und sein Blick am Eingang hängenbleibt, wo er die Eintretenden sieht, die sich in diesem Moment derselben Prozedur unterziehen müssen, die er vorhin erlebt hat, dann hat er möglicherweise zum ersten Mal seit dem Eintreten in das Café oder Restaurant das Gefühl, dass er aus der Schusslinie geraten ist und sich nicht mehr in Gefahr befindet, denn jetzt ist er selbst ja nicht mehr derjenige, der sich der Kontrolle unterziehen muss, sondern jetzt sind es andere, die geprüft werden und dabei ihre Identität aufs Spiel setzen müssen.

Und vielleicht geht dieser Mensch nun sogar noch einen Schritt weiter und beginnt mehr oder weniger harmlose Scherze über die merkwürdigen Verrenkungen zu machen, die die Menschen anstellen, wenn sie am Eingang stehen und ihr Handy vorzeigen sollen. Vielleicht macht er sich gemeinsam mit den anderen Gästen heimlich lustig über die Ungeschicklichkeiten bei der Handhabung der Handys, der Apps oder der Benutzeroberflächen; vielleicht bemerkt er in den Gesichtern der Ankommenden auch den kurzen Moment der Unruhe oder der Angst, bevor das erlösende Signal zu vernehmen ist, das den Eingang freigibt und den Anwenden bedeutet, dass alles in Ordnung ist, dass das Zeichen der App eine Entsprechung im digitalen Kosmos gefunden hat und der Eintretende sozusagen angedockt hat an irgendeiner Schnittstelle, die vom Gesundheitsamt, einer Regierungsbehörde oder einer anderen übergeordneten Stelle zur Verfügung gestellt wird.

Das ist zugleich der Moment, in dem der Gast die Seiten gewechselt hat, denn jetzt gehört er nicht mehr zu denjenigen, die geprüft werden, sondern zu denen, die prüfen. Er hat sich zum Komplizen der Kontrolleure gemacht, denn er ist nun einer von den vielen Zeugen, die die Szene am Eingang wahrnehmen, beobachten, registrieren und die man im Notfall sogar befragen oder um Auskunft bitten könnte, wenn sich im Zuge der Prüfung Unregelmäßigkeiten, Schwierigkeiten oder Probleme einstellen würden. Der Gast, der beim Eintreten zumindest theoretisch noch fürchten musste, abgewiesen zu werden, ist wenig später zu jemandem geworden, der mit seiner Gegenwart zugleich sein Einverständnis zu dem gesamten Vorgang signalisiert und den Vorgang damit am Leben erhält. Er ist wie alle, die sich in dem Café oder Restaurant aufhalten, zum Funktionär geworden, der sich an einer polizeilichen Erkennungsmaßnahme beteiligt.

(5) Wie alles, was uns das Corona-Regime beschert hat, ist auch der digitale Impfausweis keine harmlose Sache. Man kann natürlich behaupten, das Vorzeigen des Ausweises wäre nur eine Kleinigkeit, die für das Verhalten und Erleben der Menschen kaum Auswirkungen hat, die sinnvoll und notwendig ist zur Bekämpfung von Infektionen und selbstverständlich auch in allen sicherheits- und grundrechtsrelevanten Teilvorgängen mit den bestehenden Gesetzen konkordant geht, niemandem wirklich schadet, sondern allen nützt und letztlich nur von unbelehrbaren oder paranoiden Querdenkern abgelehnt werden kann usw.

Im Grunde sind das aber alles Einwände, die am Kern der Sache vorbeigehen. Wenn man den psychologischen Sinn der Krise verstehen will, dann muss man möglicherweise methodische Instrumente entwickeln, die dasselbe leisten können wie das Elektronenmikroskop im Bereich der Physik und Chemie. Möglicherweise muss man die Spurenelemente finden, die durch die Krise in unseren seelischen Alltag eindringen und diesen Alltag immer weiter auflösen, ohne dass die Menschen davon etwas mitbekommen. Es sind letztlich nur Augenblicke wie der Moment, in dem die Menschen ihre App vorzeigen. Wenn man aber genau hinsieht und beschreibt, was dabei vor sich geht, dann wird deutlich, dass das gesamte Gefüge des Alltags ins Rutschen kommt oder auf den Kopf gestellt wird.

Tatsächlich hat es ja auch früher schon informelle Formen einer Prüfung oder Kontrolle gegeben, wenn man als Fremder ein Restaurant oder ein Café betreten hat. Kein Gast tritt einfach an seinen Platz, ohne nicht vorher zumindest mit Blicken Kontakt mit dem Wirt aufgenommen zu haben, vielleicht Mantel und Tasche abgelegt oder andere Gäste nach freien Stühlen gefragt zu haben. In den meisten Fällen werden schon Schritt und Gangart anders, wenn man das Innere eines Lokals betritt. Man signalisiert mit Gesten, Haltung und Mimik, dass man die Straße und damit auch das vergleichsweise raue Verhalten, das draußen manchmal erforderlich ist, wenn man weiterkommen will, hinter sich gelassen hat. Man zeigt, dass man die Spielregeln eines Gastraums anerkennt und sich selbst in die Rolle des Gastes fügt.

Umgekehrt gibt in den meisten Fällen aber auch der Wirt zu verstehen, dass er die Rolle des Gastgebers akzeptiert, dass er sich dazu verpflichtet, den Gast zuvorkommend zu behandeln, ihm kein verdorbenes Essen vorsetzt oder nicht die Absicht hat, ihn mit der Rechnung übers Ohr zu hauen. Der Wirt muss das alles nicht ausdrücklich sagen; es genügen schon ein sauberes Tischtuch, ein Speisekarte – und im Sommer auch eine offene Tür am Eingang.

Mit dem Vorzeigen des Impfausweises werden nicht nur diese kleinen Formen der Begegnung, der Verständigung und der Gastfreundschaft aufgehoben oder zumindest entwertet. Es kommt auch hinzu, dass die App die grundsätzliche Offenheit, mit denen sich die Menschen im Alltag begegnen, durch Formen des Misstrauens, der Prüfung und der Kontrolle ersetzen. Anstatt dem anderen zu unterstellen, dass er sich in dem Rahmen bewegt, den man ihm als Gastgeber zur Verfügung stellt, wird ihm erst einmal bedeutet, er könnte zumindest der Möglichkeit nach eine ansteckende, vielleicht sogar tödliche Krankheit einschleppen und damit den ganzen Rahmen, in dem das Gastmahl stattfinden soll, aufs Spiel setzen. Jeder Gast wird tendenziell zum Gefährder und jeder Gastgeber tendenziell zum Spion, zum Spitzel, zum Denunzianten.

(6) Die Menschen können allerdings immer auch behaupten, dass sie nicht wirklich zu Spitzeln oder Denunzianten geworden sind und dabei hilft ihnen nicht zuletzt die App mit dem digitalen QR-Code. Mit Hilfe der digitalen Geräte lassen sich die Prüf- und Kontrollvorgänge an technische Apparate delegieren und von der eigenen Beteiligung und Betroffenheit abkoppeln. Man streckt die Hand aus und überlässt es der Technik, die Integrität der anderen Person zu überprüfen. Man vollzieht einen polizeilichen Akt, der deutlich Züge eines wechselseitigen Bespitzelns, Ausforschens und Verdächtigens besitzt, kann dabei aber so tun, als würden sich diese Vorgänge allein auf den Oberflächen der Handys abspielen und als wären es die Handys und nicht die Menschen, die den ganzen Vorgang steuern. 

In dem kurzen Moment, in dem das blaue Licht der Handyoberflächen auf die Gesichter der Menschen fällt, die an dem Prüfvorgang beteiligt sind, ändert sich dieses Verhältnis. In diesem kurzen Augenblick tritt eine andere Wahrheit ans Licht, und es verändert für einen Moment auch das Aussehen und die Physiognomie der Menschen. Dieser kurze Moment des Innehaltens und des Schweigens, der Moment, in dem beide Akteure den Blick senken, auf ihre Handys sehen und das Ergebnis der Prüfung erwarten – das ist zugleich der Moment des Einverständnisses und der Einwilligung in den Kontrollvorgang. Es ist der Moment, in dem beide Seiten ihre Rollen akzeptieren und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben können: der Gastwirt, der klarmacht, dass er zum Funktionär des Medizinsystems geworden ist und der Gast, der sich auf die Moral und die Bedingungen einlässt, die das Corona-Regime den Menschen abverlangt.

Das kurze Aufleuchten der Handyoberflächen ist der Moment des Aufgehens und des Eins-Werdens mit dem System. Es ist nicht so sehr der Moment der Unruhe und der Spannung, in dem die beiden Akteure auf das Ergebnis der Prüfung warten. Es ist eher der Moment, in dem beide Seiten sich von dem Vorgang absorbieren lassen und beginnen, an die Berechtigung oder die Notwendigkeit dieses Vorgangs zu glauben. Es ist der Moment, in dem das gesamte Setting akzeptiert und diesem Setting die Führung über alles weitere überlassen wird. Es ist der Augenblick, in dem der letzte vielleicht noch existierende Widerstand aufgegeben wird und beide Seiten freiwillig die Handlungen ausführen, die ihnen das System abverlangt. Es ist der Moment, in dem die Individuen an die Wahrheit dieses Systems zu glauben beginnen.

Dazu dieses Licht, das die Physiognomie der Menschen auch wirklich anders erscheinen lässt. Bei näherer Betrachtung ist es nicht das Licht, das auf den Madonnenbildern zu sehen ist, denn es ist nicht das göttliche Licht, das die Menschen daran erinnert, dass ihr Leben von einer Macht bestimmt wird, die anders und größer ist als sie selbst. Es ist eher ein irdisches, ein technisches, ein kaltes Licht, das die Gesichter der Menschen in diesem Augenblick erhellt: nicht gelb-golden wie die Sonne, sondern weiß und blau wie der Scanner oder die OP-Leuchten der Mediziner. Es ist das Licht, das die Menschen in Geschöpfe des digitalen Zeitalters verwandelt.

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