Triage – Über Politpropaganda
(1) Mit der sogenannten „Triage“ hat man den Menschen bereits zu Beginn der Krise gedroht. Wenn die Intensivbetten knapp werden, dann werden sich die Ärzte angeblich gezwungen sehen, zwischen den Erkrankten auszuwählen und zu entscheiden, wer auf den Intensivstationen behandelt werden soll. Sollen sie die jungen Patienten bevorzugen, die noch ein langes Leben vor sich haben, vielleicht Familie gründen und eigene Kinder in die Welt setzen könnten? Oder doch lieber die Alten, die sich bereits um die Gesellschaft verdient gemacht und deshalb am Ende nicht im Stich gelassen werden dürfen?
Die Not, solche Entscheidungen treffen zu müssen, wird allgemein als unmenschlich und grausam angesehen. Eine Gesellschaft, die sich zu sozialer Verantwortung und Fürsorge bekennt, wird alles daran setzen, gar nicht erst in solche Zwickmühlen zu geraten. Sie ist bemüht, ein ausreichend ausgestattetes und finanziertes Gesundheitssystem vorzuhalten, genügend Intensivbetten bereitzustellen, fachlich geschultes Personal in ausreichender Anzahl. Die Ausstattung des Systems darf nicht hinter dem im Durchschnitt zu erwartenden Behandlungsbedarf zurückbleiben.
Wenn sich Seuchen und Epidemien ausbreiten, ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass auch ein im Normalfall gut funktionierendes System an seine Grenzen stößt. „Flatten the curve“ hieß es daher vor einem Jahr und bis heute wird von einem „dynamischen Infektionsgeschehen“ gesprochen, das sich jederzeit verselbständigen und die Kapazitäten des Gesundheitssystems überlasten könnte. Mit dem Versprechen, eine solche Gefahr abzuwehren, konnte sich die Corona-Politik der Regierung breite Unterstützung in der Mehrheit der Bevölkerung sichern.
(2) Inzwischen ist an verschiedenen Stellen allerdings die Überlegung aufgetaucht, die Lasten des Gesundheitssystems so umzuverteilen, dass die Ungeimpften davon nicht mehr in demselben Maße profitieren wie die Geimpften. So hat der Vorstand der R+V Versicherungen vor Kurzem vorgeschlagen, die Kassensätze für Ungeimpfte zu erhöhen. Er ist der Meinung, die „Impfverweigerer“ würden sich „sozial schädlich“ verhalten und die Geimpften sollten sich von ihnen nicht länger „auf der Nase herumtanzen“ lassen. Er sieht voraus, dass demnächst alle Krankenkassen, die Höhe der Beiträge vom Impfstatus ihrer Mitglieder abhängig machen würden.
Ein Medizinethiker an der Universität Münster geht in einem Zeitungsbeitrag noch einen Schritt weiter. Er schlägt vor, auf weitere staatliche Eingriffe zur Reduktion des Infektionsgeschehens zu verzichten und dabei auch ein Ansteigen des intensivmedizinischen Versorgungsbedarfs zu riskieren. Für die Regulierung dieses Bedarfs müsste dann jedoch auch die Anwendung der Triage in Kauf genommen werden – die nach seiner Ansicht zu Lasten der Ungeimpften entschieden werden müsste.
Im Klartext: Ein mit Staatsmitteln honorierter Ethik-Fachmann kommt nach ausgiebiger Prüfung aller moralischen, medizinischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkte zu dem Schluss, die Ungeimpften wären für alle künftigen Entwicklungen des Infektionsgeschehens sowie für die damit verbundenen Belastungen der medizinischen Versorgung verantwortlich und könnten in der Folge daher auch keinen Anspruch auf medizinische Behandlung geltend machen. Es wäre vielmehr ethisch nicht nur gerechtfertigt, sondern auch ausdrücklich und unbedingt zu fordern, diese „sozial schädlichen“ Individuen am Eingang zu den Notaufnahme abzuweisen und sie notfalls auch dem Tod zu überlassen. „Ein tragisches Übel, aber kein Grundrechtsverletzung“, behauptet der Experte.
(3) Es lohnt sich vielleicht, das aufgeregte Gerede unserer selbsternannten Tugendwächter auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Zu erinnern ist zum einen an die historische Herkunft der „Triage“, die gar nicht aus der Medizin, sondern ursprünglich aus dem Militärwesen stammt. Als die Staaten anfingen, ihre Armeen nach rationalen Prinzipien zu organisieren, haben sie auch damit begonnen, das Sanitätswesen zu rationalisieren. Wenn das große Schlachten der Menschen begann, wurden im Fall von Verwundung und Verletzung ab sofort nur noch diejenigen behandelt, von denen man glaubte, dass sie überleben würden.
Im Zuge der Perfektionierung des Systems griff man zu einer Einteilung nach drei Kategorien, bei der zwischen den todgeweihten, den schwer und den leicht verwundeten Soldaten unterschieden wurde. Mit dieser Dreiteilung („Triage“) hatte man ein einfaches Klassifikationssystem geschaffen, im Grunde so etwas wie eine Rettungs-Ampel, die dabei behilflich sein konnte, die Verwundeten ohne aufwendige Diagnosetechniken ihrer weiteren Verwendung zuzuführen: Die einen ließ man liegen und sterben, die anderen schickte man ins Lazarett und die Dritten nach kurzer Behandlung wieder an die Front.
Dieser einigermaßen unsentimentale Umgang mit Verletzten und Verwundeten hatte das Ziel, die verfügbaren Ressourcen gezielt und effizient einzusetzen und sie nicht für solche Fälle zu verschwenden, denen ohnehin nicht mehr zu helfen war. Die Triage war der Versuch einer Mechanisierung der medizinischen Behandlung unter Kriegsbedingungen. Sie war nicht durch ethische oder moralische Überlegungen motiviert, sondern passte zur Mechanisierung des Krieges. Sie behandelte die Menschen wie unpersönliche Bestandteile einer Kriegsmaschine.
(4) Das Prinzip der Triage hat sich aber auch außerhalb des Schlachtfeldes bewährt, z. B. bei Naturkatastrophen oder Technik-Unfällen. Die Schulung im Sichten, Unterscheiden und Klassifizieren der Behandlungsbedürftigkeit gehört zur Ausbildung jedes Rettungssanitäters. Sie gehört heute aber auch zum Alltag in jedem Krankenhaus. Die Triage, und das ist der zweite Punkt, ist etwas, was nicht nur bei überlastetem Gesundheitssystem vorkommt. Die Triage ist vielmehr selbstverständlicher Bestandteil dieses Systems.
Alle Krankenhäuser „triagieren“, und zwar jeden Tag. Kein Patient hat Anspruch darauf, individuell behandelt und versorgt zu werden – nicht einmal ein Privatpatient. Sobald jemand ein Krankenhaus betritt, greift ein System, das Befunde erhebt, Diagnosen erstellt und Behandlungspläne entwirft. Die einzelnen Schritte sind in der Regel automatisiert oder werden durch digitale Programme unterstützt, die in der jüngeren Vergangenheit immer weiter perfektioniert wurden. Wenn ein Röntgenbild vorliegt, macht der Computer Vorschläge für Diagnose und Behandlung und berechnet gleichzeitig sämtliche Kosten, die für Operationen und stationäre Behandlung entstehen werden.
Wenn man den Prozess kennt, der für die Behandlung erforderlich ist, dann kann man auch die Reihenfolge festlegen, in der die Fälle „abgearbeitet“ werden. Man kann die Anzahl der OP-Säle, der Krankenbetten, der Schwestern und Ärzte in ein Verhältnis setzen und mit den Kapazitäten korrelieren, die mit den Krankenkassen pro Monat oder Quartal abgerechnet werden können. Wenn man als Kassenpatient wieder einmal etwas länger auf den Röntgen- oder OP-Termin warten muss, dann weiß man, das man Teil einer Maschine geworden ist, deren Mechanik nach genau festgelegten Prinzipien vorrückt.
Nur wenige Laien sind sich allerdings darüber im Klaren, dass auch die Angestellten der Krankenhäuser, die Ärzte, die Krankenschwestern, die Pfleger, die Verwaltungsfachleute, die Putzfrauen oder Hausmeister Teil dieses Systems sind. Selbst die am besten ausgebildeten Ärzte haben nur wenig Spielräume bei der Ausführung ihrer Arbeit. Sie können zwischen den Diagnosen wählen, die ihnen das System vorgibt, weil der Computer diese letzten Entscheidungen noch nicht treffen kann. Im übrigen ähneln sie aber eher den Piloten eines Düsenjets, die über technische Leitstrahlen zum nächsten Flughafen geführt werden und nur an den Stellen eingreifen müssen, die von der Technik noch nicht besetzt sind.
(5) Wie jedes technische System ist auch das Krankenhaussystem anfällig für alle möglichen Manipulationen. Im Interesse nicht des Patienten, sondern des Krankenhauses kann man beispielsweise Diagnosen so erstellen, dass sie kostspieligere Operationen oder längere Verweilzeiten nach sich ziehen, als eigentlich erforderlich wäre. Wenn bis zum Quartalsende eine gewisse Anzahl von Knieoperationen abgerechnet werden muss, damit dem Krankenhaus im folgenden Quartal dasselbe oder sogar ein höheres Budget zur Verfügung steht, dann hat ein Patient, der zufällig in der Notaufnahme landet, möglicherweise einen Knieschaden, von dem er bis dahin noch gar nichts geahnt hat.
Dass solche Manipulationen gar nicht so selten vorkommen, ist gerade im Zusammenhang mit Corona deutlich geworden. Aus den Belegungszahlen der Intensivbetten geht hervor, dass die Kapazitäten künstlich heruntergerechnet wurden, weil den Krankenhäusern bei Erreichen einer bestimmten Auslastungsgrenze Ausgleichszahlungen in Aussicht gestellt wurden (Schrappe 2021). Das System, das eigentlich der Kostenkontrolle dienen sollte, wurde dazu benutzt, diese Kosten künstlich in die Höhe zu treiben. Weil die Politik die geschönten Belegungszahlen sehr gut für den Nachweis eines angeblich überlasteten Gesundheitssystems gebrauchen konnte, ist sie gegen diesen Missbrauch von Steuergeldern bis heute nicht eingeschritten – oder hat ihn vielleicht sogar erst möglich gemacht.
Leider gibt es diesen Missbrauch aber nicht nur in den Krankenhäusern, denn wie die Krankenhäuser, so funktioniert auch das gesamte System. Die Abrechnung der ärztlichen Leistungen, die Versorgung mit pharmazeutischen Erzeugnissen, die Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge: überall wird so getan, als könnte die Medizin wie ein technischer Apparat organisiert und verwaltet werden. Je mehr Planwirtschaft eingeführt wird, um so mehr werden in diesem System aber auch die Türen für Manipulation und Missbrauch geöffnet. Plan-Systeme und Clan-Systeme arbeiten offenbar sehr eng zusammen.
(6) Über all das müsste eigentlich einmal offen geredet und diskutiert werden. Man müsste darüber sprechen, wie weit man die Planwirtschaft im Gesundheitssystem treiben soll, wo die Lücken sind, die von privaten Akteuren und Investoren ausgenutzt werden, wer am Ende profitiert und wer die Zeche zahlen muss. Wahrscheinlich müsste man auch darüber reden, wie lange das System überhaupt noch funktionieren kann oder ob es nicht längst an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt ist: weil es zu viel verspricht, was es nicht halten kann; weil es Leiden und Notlagen hervorbringt, die die Menschen ohne das Gesundheitssystem gar nicht belasten würden; weil es Aufwände erzeugt, die besser an anderen Stellen der Gesellschaft eingesetzt würden.
Im Zusammenhang mit Corona müsste man aber auch darüber reden, warum die Medizin auf einmal die Arztpraxen und die Krankenhäuser verlassen hat und nicht mehr nur die Menschen, sondern auch den gesellschaftlichen „Körper“ zu behandeln versucht: mit Diagnosen zu einer „Notlage von nationaler Tragweite“, mit Prognosen über künftige Infektions- und Erkrankungswellen, mit Behandlungsplänen, die von freiwilliger Selbstisolation bis zur Massenimpfung reichen. Das alles scheinbar auf höchstem wissenschaftlichen Niveau, auf der Grundlage exakter Zahlen und Befunde, nach Maßgabe unbestechlich operierender Apparate, die in Wirklichkeit aber ebenso manipuliert worden sind wie die Abrechnungszahlen der Krankenhäuser: keine Statistik ist frei von Verzerrungen, keine Entscheidung wird getroffen ohne Rücksicht auf verdeckte oder illegitime Interessen.
Mit Corona ist die Medizin nicht nur zu einem Instrument der Politik geworden, sondern sie hat sich an die Stelle der Politik gesetzt. Sie ist zu einem Herrschaftsapparat geworden, der nicht nur jeder parlamentarischen oder juristischen Kontrolle entzogen ist, sondern über dessen Aufgaben und Interessen auch nicht gesprochen werden darf, ohne dass dabei der Vorwurf des Hochverrats riskiert würde. Die Medizin ist ein Königtum, das absolut geworden ist und sich mit „Corona“ die sprichwörtliche „Krone“ aufgesetzt hat.
(7) Mit der moralischen Dimension der Triage hat das alles nichts zu tun. Diejenigen, die diesen Begriff im Kontext von Corona anführen, beuten die Angst der Menschen aus und spannen sie vor den Karren der politischen Propaganda. Sie tun so, als ginge es um gesellschaftliche Verantwortung und Solidarität und sie verschweigen die Interessen der Profiteure und Kriegsgewinnler. Sie spielen sich auf als Sachwalter des Gemeinwesens und ignorieren, dass dieses Gemeinwesen geplündert wird von einer unheiligen Allianz aus Politfunktionären und geheimen Drahtziehern im Hintergrund der offiziellen politischen Systeme.
Wie die Philosophen und Literaten, die sich im Zuge der Krise zu Moralaposteln und Predigern des Gemeinwohls aufgeschwungen haben, machen sich auch die sogenannten Ethikexperten mit ihren abstrakten Erörterungen über Recht und Unrecht der Triage mitschuldig an Betrug und Manipulation der Menschen. Es sind dieselben Leute wie die Priester, die Politiker und Wissenschaftler, die in der Vergangenheit behauptet haben, es gebe so etwas wie einen gerechten Krieg, während sie in Wirklichkeit wussten, dass sie die Menschen mit solchen Reden in den sicheren Tod schicken würden.
Schrappe, Matthias u.a. (2021). Die Pandemie durch SARS-CoV-2/CoViD-19. Zur intensivmedizinischen Versorgung in der SARS-2/CoViD-19-Epidemie. 3. Ad hoc Stellungnahme. Köln u.a.: Autorengruppe. URL: http://www.matthias.schrappe.com/index_htm_files/thesenpapier_adhoc3_210517_endfass.pdf