Das neue Reich der Medizin

Das neue Reich der Medizin: Über Besuchsverbote im Krankenhaus

(1) Trotz stockender Impfkampagne hält sich die Bundesregierung mit zusätzlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus gegenwärtig in auffälliger Weise zurück. Die aktuelle Politik besteht im Wesentlichen darin, zwischen den drei Gruppen der Geimpften, Genesenen und Getesteten zu unterscheiden und Anlässe oder Orte festzulegen, bei denen die sogenannte 3-G-Regel zur Anwendung kommen soll.

Gleichzeitig bleibt es aber privaten Anbietern und Veranstaltern erlaubt, diese allgemeine Regel nach eigenem Ermessen zu verschärfen und den Zugang beispielsweise zu Restaurants oder Konzerten auf die Gruppe der Geimpften und Genesenen zu beschränken. Während die Regierung weiterhin behaupten kann, in Deutschland gebe es keine Impfpflicht, melden sich überall in Deutschland Interessen- und Verbandsvertreter zu Wort, die eine solche Impfpflicht mit Forderungen nach Einführung einer 2-G-Regelung zu einer gesellschaftlichen Tatsache werden lassen.

Diese Taktik ist bequem, weil sie den gesellschaftlichen Teilgruppen die Drecksarbeit überlässt und der Politik die Möglichkeit gibt, die Hände in Unschuld zu waschen. Sie ist aber auch infam, weil die Regulierung der gesellschaftlichen Verhältnisse an die Bevölkerung delegiert wird, die sich unter dem Druck der Verantwortung zunehmend in einzelne, miteinander verfeindete Lager aufzuteilen beginnt. Auf fatale Weise hat das große Ähnlichkeit mit einer Kriegstaktik, die darauf ausgerichtet ist, den Zusammenhalt und den Gemeinsinn der Bevölkerung zu brechen.

(2) Es ist sehr auffällig, dass sich die Medizin hier in besonderer Weise hervortut. Sie hat schon in der Vergangenheit immer wieder Schreckensszenarien ausgemalt, in denen von überfüllten Kliniken, steigenden Infektionszahlen und dem Gespenst der Triage die Rede war. Die Medizin, nicht die Medien oder die Politik, hat das Arsenal bereitgestellt, das die Bevölkerung das Fürchten lehren sollte. Wie wir heute wissen, war sie damit ziemlich erfolgreich.

Die Schreckensbilder der Krise werden auch jetzt wieder, zu Beginn der Wintersaison hervorgeholt. Sie richten sich jedoch vor allem an die Adresse der Ungeimpften, die vorsorglich als Verursacher einer vierten oder fünften Infektionswelle und der damit verbundenen Horrorszenarien dingfest gemacht werden. Die Krise hat sich in eine „Pandemie der Ungeimpften“ verwandelt. Sie ist übergegangen von einer Bedrohung, die von einem bestimmten Virus ausgeht, zu einer Gefahr, die angeblich von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verursacht wird.

Es scheint daher nur folgerichtig, dass es für die Ungeimpften demnächst „ungemütlich“ werden soll – was eine euphemistische Umschreibung für den Wunsch darstellt, die „Impfverweigerer“ aus dem gesellschaftlichen Verkehr zu ziehen. Menschen ohne Impfung sind in der Gesellschaft der Gesunden nicht mehr erwünscht. Sie sind die neuen Feinde der Gesellschaft, die Sündenböcke der Krise, für die man bisher noch keinen passenden Begriff gefunden hatte und denen es jetzt an den Kragen gehen soll.

(3) Im Land Hessen scheint man das Aussortieren der Ungeimpften besonders ernst zu nehmen. Neben Vorschlägen zur Regulierung des Einzelhandels hat es hier auch eine Entscheidung der Frankfurter Uniklinik gegeben, die ab sofort keine ungeimpften Besucher mehr zulassen will. Ähnlich wie es Restaurants, Cafés oder Kirchen freigestellt ist, nur noch Besucher aus der Gruppe der Geimpften und Genesenen zuzulassen, so schlägt auch die Universitätsklinik den Ungeimpften die Tür vor der Nase zu. Mit dem Unterschied allerdings, dass es im Fall des Krankenhauses nicht nur um Alltagshandlungen geht, sondern um Leben und Tod der nächsten Angehörigen.

Natürlich kann die Klinikleitung ihre Anordnung juristisch und moralisch sehr gut begründen. Nach ihrer Ansicht geht es angeblich nicht darum, irgend jemanden auszuschließen oder zu benachteiligen, sondern allein darum, das Leben der Patienten zu schützen. Selbst wenn sie getestet sind, unterstellt man den Ungeimpften, sie könnten ein todbringendes Virus einschleppen und verbreiten. Im schlimmsten Fall wären sie damit für den Tod sehr vieler Menschen verantwortlich.

Was die Klinik dabei allerdings übersieht, das ist zum einen die Tatsache, dass die Krankenhausbesucher nur in sehr seltenen Fällen tödliche Keime einschleppen, aber dafür sehr viel häufiger das Mitgefühl für ihre Angehörigen, ohne das auch der von der Medizin überwachte körperliche Genesungsprozess niemals gelingen könnte. Gesundheit und Krankheit sind eben nicht nur Phänomene des körperlichen, sondern vor allem auch des seelischen Organismus. Indem die Krankenhausverwaltung die Angehörigen abweist, verweigert sie letztlich auch die Anerkennung der seelischen Grundlagen des Heilungsprozesses.

Zum anderen wird aber auch vergessen, dass die Viren, die von den Besuchern hereingetragen werden, eher harmlos sind im Vergleich zu den Keimen, die im Krankenhaus selbst produziert werden. Auf zehn- bis zwanzigtausend Todesfälle wird die Anzahl der Patienten geschätzt, die nach den offiziellen Angaben des RKI jährlich an den Folgen von im Krankenhaus erworbenen sogenannten „nosokomialen Infektionen“ versterben: weil die Arbeitsvorgänge so eng getaktet sind, dass die Zeit für eine regelrechte Reinigung der Hände nach einer Wundbehandlung fehlt; weil Klimaanlagen nicht pünktlich und ordentlich gewartet werden; weil Putz- und Reinigungsdienste an schlecht bezahlte Fremdfirmen abgegeben werden und in der Folge nicht mit derselben Verantwortung erledigt werden wie von festangestellten Mitarbeitern usw.

Nicht zu unterschätzen sind auch die mit jedem medizinischen Eingriff verbundenen Nebenwirkungen. In deutschen Krankenhäusern wird nicht nur viel und riskant operiert, sondern es wird vielleicht auch zu viel und zu riskant behandelt. Zwar kann man nicht leugnen, dass die Medizintechnik sehr weit fortgeschritten ist, aber jede Operation bedeutet einen Eingriff in organisches Gewebe, bei dem Blut- und Nervenbahnen häufig unwiederbringlich zerstört werden: Keine Hüft-OP verläuft ohne lang anhaltende und tiefgreifende Nervenschädigung.

(4) Wie kommt es eigentlich, dass man das Krankenhaus als eine Anstalt versteht, in der die Menschen in einen besseren Daseinszustand befördert werden können? Wieso glaubt man, die Klinik wäre eine Heil-Anstalt, während sie in Wirklichkeit wie eine Fabrik funktioniert, die wesentlich nach wirtschaftlichen oder technischen Gesichtspunkten organisiert ist und in erster Linie effizient und profitabel arbeiten muss? Woher kommt die gläubige Erhöhung einer Institution, die in den Augen vieler Menschen geradezu übermenschliche Kräfte angenommen hat?

Vielleicht spielen die imposanten Architekturen eine Rolle, in denen die Krankenstationen untergebracht sind und die in vielen Städten den Eindruck machen, als wäre an dieser Stelle ein Riesen-Raumschiff gelandet. Vielleicht liegt es auch an dem Auftritt von Ärzten und Pflegern, die in ihren weißen Kitteln wie Engel über die Flure schweben, mit wehenden Rockschößen, Stethoskop um den Hals und Notruf-Piepsern am Gürtel. Oder auch an den Chefärzten, die sich wie der christliche Gott nur selten blicken lassen, die unsichtbar und sprachlos bleiben und denen man trotzdem unterstellt, dass sie das Geschehen im Hintergrund steuern und überwachen.

Möglicherweise spielt auf der anderen Seite aber auch der Wunsch eine Rolle, Bestandteil dieser eindrucksvollen Inszenierung werden zu können, als Patient oder Besucher gleichsam mitspielen zu können auf der Bühne, die das Medizinsystem für seine Angestellten aufgebaut hat und in dem es sich selbst und seine Ideologie gleichsam unsterblich zu machen versucht. Ist das nicht vielleicht die entscheidende Wirkung, die von jeder medizinischen Operation ausgeht: dass die Medizin ihren Patienten verspricht, ein Stück jener Gottähnlichkeit und Unsterblichkeit zu erlangen, die sie selbst für sich beansprucht?

(5) Es würde sich wahrscheinlich sehr lohnen, die Rolle, die die Medizin im Rahmen der Corona-Krise gespielt hat, mit der Rolle zu vergleichen, die sie im gesellschaftlichen Kontext erlangt hat. Das Medizinsystem ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nicht nur zu einem Apparat geworden, der immer größere Summen des Staatshaushaltes verschlingt, sondern es hat sich mit seiner Ideologie der Prävention und Risiko-Vorsorge auch tief in den Alltag der Menschen eingegraben. Es ist zu einem Leitbild der privaten und der öffentlichen Lebensfürsorge, zu einem Modell der individuellen und der gesellschaftlichen Lebensführung geworden.

Corona kann man wie einen vorläufigen Abschluss und Höhepunkt dieser Entwicklung verstehen. Die massenhaft durchgeführten Test- und Impfprozeduren stellen wohl die umfangreichste medizinische Behandlung in der Geschichte der Menschheit dar. Sie demonstrieren den Menschen, dass sie selbst nichts über die eigenen körperlichen Zustände wissen können, sondern dass sie darüber erst durch die Erkenntnisse und Techniken der Medizin aufgeklärt werden müssen; dass sie ohne diese Erkenntnisse und Techniken hilflose und verletzliche Wesen sind; dass sie nur überleben können, wenn sie sich in die Obhut der Medizin begeben oder die Kräfte in sich aufnehmen, die von der Medizin erfunden und entwickelt wurden.

Mit Corona hat sich die Medizin in gewisser Hinsicht unantastbar gemacht. Sie ist zu einem Souverän geworden, der absolute Macht und zugleich totale Unterwerfung beansprucht. Niemand darf sich dem Einfluss der Medizin entziehen, alle sollen in den höheren Daseinszustand versetzt werden, den die Medizin für sie bereit hält: zuerst diejenigen, die sich impfen lassen; dann diejenigen, die zwar aus eigener Kraft genesen sind, ohne Verabreichung einer medizinischen Substanz aber nicht in den Kreis der Auserwählten aufgenommen werden können; schließlich diejenigen, die noch nicht geimpft sind und die deshalb in regelmäßigen Abständen auf ihre soziale Tauglichkeit überprüft werden müssen.

Seit Corona ist die Medizin weder kurativ, noch fürsorglich oder solidarisch aufgestellt. Mit Beginn der Krise ist die Medizin herrisch, anmaßend und überwältigend geworden. Sie ist zu einem System geworden, das nur noch diejenigen akzeptiert, die sich dem medizinischen Apparat ehrfürchtig und unterwürfig nähern und die keine Widersprüche oder Zweifel an der Funktion dieses Apparates anmelden. Entgegen der offiziellen Rede ihrer Standesvertreter kümmert sich die Medizin nicht um gesellschaftliche Solidarität, sondern sie unterläuft die Prinzipien einer nach menschlichen Gesichtspunkten organisierten Gemeinschaft, indem sie den Zugang zu ihren Institutionen ausschließlich für Ihresgleichen freigibt. Die Medizin ist zu einer Religion geworden, die keinen fremden Gott neben sich duldet.

(6) Für die Regierung ist die neue Medizin, die sich unter Corona herausgebildet hat, ein Glücksfall. Im Gegensatz zur Medizin verfügt die Politik nämlich über keine Idee, die auch nur annähernd geeignet wäre, als Maßstab für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu dienen. Die Rede vom Klima, von der Solidarität mit den Flüchtlingen oder den diversen Geschlechtern ist nur ein hilfloser Versuch, ein paar rudimentäre Anhaltspunkte für das alltägliche Zusammenleben zu gewinnen. Es ist aber kein zugkräftiges Bild, das die Menschen wirklich packt und bei dem sie auch bereit wären, eigene Opfer zu bringen.

Corona verschafft der politischen Kaste zumindest vorübergehend den Glauben an die Legitimität ihres Handelns, den sie in großen Teilen der Bevölkerung längst verloren hat. Corona ist sozusagen so etwas wie eine „Spritze“, mit der sich die Politik eine gesellschaftliche Ideologie ausleiht: ein Narrativ, das wie ein „Stoff“ wirkt , den sie selbst nicht mehr herstellen kann. Die Politik ist in eine Symbiose mit der Medizin eingetreten, um den drohenden Verlust gesellschaftlicher Herrschaft und Souveränität zuvorzukommen.

Der Skandal an diesem Versuch besteht nicht nur darin, dass Gerichte und Parlamente entmachtet wurden, dass Grundrechte außer Kraft gesetzt, Demonstrationen verboten und das gesellschaftliche Klima durch eine Mischung aus Angst und Denunziation zersetzt wurde. Der Skandal besteht vor allem auch darin, dass die Politik die Regierungsgeschäfte in die Hand einer Institution gelegt hat, die sich dem gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskus entzieht: als sollte eine Gesellschaft gegründet werden, deren Voraussetzungen nicht mehr in Frage gestellt werden können, die gleichsam „unsterblich“ ist wie die Medizin selbst, die ewig währen oder mindestens für die nächsten „tausend Jahre“ Bestand haben soll.

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