Boosterchen

Boosterchen – Über Impf-Junkies

(1) Zu den erstaunlichen Beobachtungen rund um das Impfen gehört auch der triumphierende Gestus, mit dem die Menschen die Verabreichung der Spritze einer interessierten Öffentlichkeit präsentieren. Nach dem Vorbild der Prominenten, die am Anfang der Kampagne für das Impfen warben, wird in den sozialen Netzwerken häufig der entblößte und mit einem Pflaster versehene Oberarm gezeigt, der Daumen nach oben gestreckt und ein flotter Spruch unter das Selfie gesetzt. Man tut so, als hätte man erfolgreich eine Prüfung bestanden oder sonst eine kulturell wertvolle Leistung vollbracht.

Auch der Vollzug der sogenannten Booster-Impfung wird von manchen Zeitgenossen akribisch dokumentiert. Bei den Arzt- oder Vorsorgeuntersuchungen käme wohl so schnell niemand auf die Idee, den Vorgang aufzuzeichnen und für alle sichtbar ins Netz zu stellen. Beim Boostern werden manchmal aber alle einzelnen Schritte des Ablaufs minutiös fotografiert und kommentiert: vom Aufenthalt in der Warteschlange über die Umstände der Registrierung bis hin zum Aufenthalt in der Impfkabine.

„Boosterchen“, so steht es gelegentlich als Überschrift über einem solchen Fotoroman, der das Impfen wie eine abenteuerliche Reise dokumentiert und gleichzeitig so tut, als wäre diese Reise nur eine Kleinigkeit gegenüber den viel größeren Gefahren, die möglicherweise durch eine Infektion mit dem angeblich so gefährlichen Virus drohen können. „Boosterchen“, das heißt: Ich hab’s gut überstanden, es war doch nur ein kleiner Pieks, jetzt bin ich auf der sicheren Seite.

(2) Boosterchen, das klingt aber auch nach „Prösterchen“, nach Sekt und guter Laune, nach Party und Wellness-Veranstaltung. Wie bei HaPe Kerkeling muss „das Leben ja irgendwie weitergehen“ – selbst dann, wenn um einen herum die Welt in Scherben fällt. Einer, einer geht noch rein und ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren.

Das sind die Sprüche, mit denen in Deutschland der Alkoholgenuss, die Abhängigkeiten und die Süchte bemäntelt werden. Das „Boosterchen“ ist ein Diminutiv wie das „Prösterchen“. Es ist eine Verkleinerungsform, die zu verharmlosen sucht, was eigentlich Anlass zur Sorge geben müsste: die Niederlagen und Pleiten, die einem das Leben bereitet hat, aber auch die Abwehrformen, mit denen man diese Niederlagen in den Griff zu nehmen versucht.

Das „Boosterchen“, das ist eigentlich der krampfhafte Versuch, doch noch so etwas wie Normalität herzustellen, während man in Wirklichkeit weiß, dass überhaupt nichts mehr normal ist. Es ist der Versuch, die Welt in eine große Party zu verwandeln, obwohl längst „game over“ ist. Das „Boosterchen“ passt gut in die Welt des Sanatoriums, in der man die Leiden dieser Erde mit Medikamenten aus dem Körper und mit Alkohol aus der Seele zu treiben versucht.

(3) In Deutschland kommt die Impfkampagne immer noch nicht so recht vom Fleck. Die Zahl der Erstimpfung stagniert und das erklärte Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahresende 2021 eine Impfquote von 80 Prozent zu erreichen, ist krachend gescheitert. Auch die Ankündigung einer staatlich angeordneten Impfpflicht führt anscheinend nicht zur Erhöhung der Zahlen. Statt dessen gehen inzwischen von Woche zu Woche mehr Menschen auf die Straße, um gegen die Politik der Regierung zu protestieren.

Erstaunlicherweise sehen die Quoten bei den Drittimpfungen aber ganz anders aus. Die Zahlen deuten darauf hin, dass diejenigen, die schon am Anfang der Kampagne dabei waren, nun auch die ersten sind, die sich ein drittes oder vielleicht auch ein viertes oder fünftes Mal impfen lassen wollen. Wer sich einmal impfen lässt, der ist sozusagen auf die andere Seite gewechselt und stellt den Sinn der Maßnahme nicht mehr in Frage. Einmal impfen heißt so viel wie: immer wieder impfen.

Manche Psychologen versuchen dieses Phänomen damit zu erklären, dass die Geimpften durch ihr eigenes Tun eine Markierung gesetzt haben, hinter die sie nicht mehr zurück können. Würden sie sich vom Impfen distanzieren, dann würde auch die Begründung für ihr früheres Handeln nicht mehr stimmen. Sie hätten das Problem, die „kognitive Dissonanz“ aufzulösen und das scheint schwieriger zu sein, als mit dem einmal begonnenen Handlungsprogramm fortzufahren.

Allerdings übersehen diese Psychologen, dass das Impfen keine Handlung darstellt, deren Folgen sich lediglich im Kopf abspielen. Das Impfen ist ein medizinischer Eingriff in den eigenen Körper und dieser Eingriff zieht auch körperliche Folgen nach sich. Im besten Fall sind das erwünschte Folgen. Wie man inzwischen weiß, gehören dazu aber auch Nebenwirkungen, die in nicht wenigen Fällen zu schwerwiegenden Reaktionen und beunruhigenden, teilweise auch neuartigen Krankheitsbildern führen.

Wieso nehmen die Menschen ein solches Risiko bereitwillig auf sich? Warum lassen sie sich nicht davon abbringen, obwohl das ursprüngliche Versprechen einer vollständigen „sterilen“ Immunisierung mit Hilfe der gegenwärtig verfügbaren Impfstoffe nicht gehalten werden kann? Warum beeilen sie sich, trotz offensichtlich unausgereifter Qualität der Impfstoffe, möglichst als erste an den „Stoff“ heranzukommen? Warum sind sie so scharf auf eine Injektion, von der sie anscheinend nicht genug bekommen können?

(4) Eine mögliche Antwort könnte mit dem Vorgang des Impfens selbst zu tun haben. Es wäre denkbar, dass dieser Vorgang für mache Menschen so attraktiv ist, dass er auf Wiederholung drängt. Man holt sich die Spritze und behauptet, man würde das Immunsystem stärken oder etwas für die menschliche Gemeinschaft tun. In Wirklichkeit ist der Termin beim Arzt oder im Impfzentrum aber so etwas wie eine kleine Kur, die man sich selber gönnt: ein Wellness-Programm im Miniaturformat.

Die Umstände, unter denen das Impfen stattfindet, scheinen diese Hypothese zu stützen. Beim Anstehen in der Warteschlange ist man selten allein, sondern trifft meistens auf andere Leute. Manchmal kommt es zu freundlichen Unterhaltungen, man tauscht Ansichten über das Impfen und die politische Lage aus und wenn man Glück hat, entspinnt sich daraus vielleicht auch ein Gespräch über private Themen. Auch wenn das alles nicht zu persönlich werden muss, so hat man für einen Moment doch das Gefühl, wieder einmal unter andere Leute zu kommen. Man nimmt sozusagen eine kleine Probe von der Verwandlungsfülle des Lebens.

Demgegenüber durchleiden viele nach dem Impfen eine Phase der Erschöpfung und der Kraftlosigkeit. Nicht wenige Mitbürger melden sich am Tag nach der Impfung krank, weil sie Kopf- und Gliederschmerzen verspüren und sich nicht für arbeitsfähig halten. Gleichzeitig deuten sie diese körperlichen Erscheinungen aber so, als würde der injizierte Stoff nun seine Wirkung tun und das Immunsystem zu ungeahnten Leistungen anregen. Man geht sozusagen durch körperliche Schmerzen und Leiden hindurch und hat dabei die Hoffnung, anschließend um so kräftiger und leistungsfähiger wieder „aufzuerstehen“.

Die vielen Vergünstigungen, die den geboosterten Mitmenschen gewährt werden, verstärken diesen Eindruck. Mit allen möglichen G.s im Titel erwirbt man einen Sonderstatus, mit dem man sich von der Masse der Volksgenossen absetzen kann. Der Status als Geboosterter ist so etwas wie die „Goldkarte“ bei den Kreditinstituten. Sie öffnet alle Türen, während die anderen draußen bleiben müssen. Man kann essen und trinken, reisen und Partys feiern, als gäbe es kein Morgen. Und bei alledem glaubt man auch noch vor Ansteckung und Krankheit immun zu sein: als wäre der Booster eine Rüstung, die ungefähr die gleiche Wirkung hat wie das Drachenblut, in dem der der junge Siegfried gebadet hat.

(5) Das Boostern wird psychologisch durch Erlebensformen zusammengehalten, die an das Bild vom „Jungbrunnen“ erinnern. Für viele Menschen ist das Boostern so etwas wie ein seelischer Energiestoß – vergleichbar vielleicht mit dem Einsatz des „Turboladers“ beim Kraftfahrzeug, dem „Doping“ im Hochleistungssport oder den Anti-Aging-Produkten in der Kosmetik. Auch die „Finanzspritzen“, die der deutschen Wirtschaft verabreicht werden, erinnern daran: das Kurzarbeitergeld, die Übergangs- und Überbrückungshilfen, die Strukturhilfen und die Aufbaufonds der europäischen Union.

Gemeinsam ist den verschiedenartigen „Injektionen“ die Hoffnung, man könnte die Spuren, die das Leben geschlagen hat, mit einer Art Zaubertrank zum Verschwinden bringen. Beim Boostern tun die Menschen so, als könnten sie den Reset-Knopf drücken und noch einmal ganz von vorne anfangen. Als wäre die Spritze so etwas wie eine Vitalitätsreserve, die schier unerschöpflich ist und niemals enden wird.

Boosterchen! sagen die frisch Geimpften und lassen die Sektkorken knallen. Wir sind die Generation, die ewig leben wird. Wir werden sein wie Gott und niemals altern. Was nach uns kommt, das interessiert uns nicht. Wir haben die Gold Card und spielen die Cold Card. „Après nous le dèluge“ soll die Madame Pompadour gesagt haben, als sie von der Niederlage der Franzosen gegen die Preußen erfuhr. Solange es noch geht, werden wir Party machen. Danach: die Sintflut.

(6) Leider, leider funktioniert die Sache mit dem Jungbrunnen aber nur, wenn man sich den Zaubertrank immer wieder einflößt. Mit einer Injektion ist es nicht getan, denn spätestens nach drei Monaten vergeht nicht nur die Wirkung des Impfstoffs, sondern die meisten Menschen erkennen auch, dass die Welt sich immer noch nicht zum Besseren verändert hat. Hinter der Krise von Corona lauern weiterhin die anderen Krisen, die unsere Gesellschaft nicht anpacken will: die Banken- und die Euro-Krise, die Krise der Parteien und der Staatsapparate, die Bildungs- und die Hochschulkrise.

Und weil der Staat seinen Bürgern so wenig Hoffnung darauf macht, dass sie selbst aktiv werden und die Zukunft der Gesellschaft gestalten können, versinken auch die Menschen immer mehr in tiefer Depression. Zwei Jahre Angst und Stillstand, zwei Jahre Gängelung und Bevormundung haben die Menschen mürbe gemacht. Die Situation sähe wahrscheinlich anders aus, hätte die Regierung zum Jahresbeginn wenigstens eine Perspektive für den Ausstieg aus der Corona-Erzählung angedeutet. Das hat sie aber nicht getan. Die Politiker scheinen entschlossen zu sein, die „Zügel“ immer noch fester anzuziehen.

Die Spritze ist unter diesen Umständen vielleicht das einzige Mittel, an das sich die Menschen noch halten können. Die dritte, vierte und vielleicht die fünfte oder sechste Impfung ähneln stark der Flasche, an die sich der Alkoholiker hält, weil er der Trostlosigkeit seines Daseins entgehen will. Die Impfung ist kein Jungbrunnen, sondern eine Betäubungsspritze: ein Sedativ, das die Menschen davon abhält, sich der Wirklichkeit zu stellen, wie sie nun einmal ist.

Wenn die Bundesregierung ehrlich zu den Menschen wäre, dann müsste sie dieser Gefahr ins Auge blicken. Sie müsste sich klarmachen, dass sich der Wert des Impfens durch fortgesetzte Wiederholungen nicht nur verschleißt und auf Dauer fragwürdig wird. Sie müsste auch wissen, dass mit solchen Wiederholungen Abhängigkeiten vor allem bei denjenigen Menschen erzeugt werden, die das Wellness-Gefühl des Impfens zum festen Bestandteil ihres Alltags machen wollen. Die Politiker müssten sich klarmachen, dass sie den Menschen mit ihrer Kampagne so etwas wie einen „Teufelspakt“ anbieten und auf dem besten Wege sind, ein Volk von Impf-Junkies heranzuzüchten.

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